Führung und Erziehung – einmal aus einer anderen Perspektive
Rahmen setzen für Freiheit
Den Rahmen geben, damit Menschen Positives erfahren können: Was in der Familie funktioniert, zeigt genauso im geschäftlichen Rahmen, z. B. bei Meetings und Veranstaltungen Wirkung.
Nur der lesens- und diskussionswerte Text des Psychologen Jordan B. Peterson. Das gesamte Interview (ab Timecode 9:00 Minuten spricht Peterson) können Sie auf englisch im Video-Podcast Nr. 98 von Jocko Willink, wo Peterson zu Gast war auf Youtube hören und sehen.
112-Peterson: Viele Eltern rächen sich an ihren Kindern
„Lass nicht zu, dass deine Kinder etwas tun, das sie dir unsympathisch macht“, lautet ein Kapitel in meinem Buch „12 Rules For Life“. Ich freue mich, dass dieses Kapitel recht kontrovers aufgenommen wird. Es gründet sich auf die Beobachtung, dass viele Eltern ihre Kinder physisch und psychisch verletzen. Natürlich werden sie alle sentimental, wenn es um die Beziehung zwischen Eltern und Kindern geht – insbesondere um die Beziehung zu sich selbst: Denn alle denken von sich, dass sie gute Eltern werden, während genau das alles andere als offensichtlich ist.
Eltern, die nicht wissen, wie man Kinder diszipliniert, werden von ihren Kindern in ihren Streitigkeiten um die Hierarchie oft mit Füßen getreten. Kinder drängen auf eine Position in der Hierarchie, und das tun sie mit ihrem Verhalten. Sie erspüren quasi die Konturen der sozialen Struktur.
Ein Beispiel: Ihr Kind benimmt sich zu Hause beim Abendessen perfekt. Beim Essen bei Fremden aber fällt es urplötzlich aus der Rolle. Und Sie fragen sich: Was ist bloß los mir dir, du kleines Monster? Das ist los: Das Kind will herausbekommen, welche Machtverhältnisse in der neuen Situation bestehen. Es tut das nicht wissentlich. Es verhält sich aber so, um herauszufinden, ob die Regeln, die zu Hause gelten, auch in der neuen Situation gelten.
Kinder können nicht danach fragen; sie wissen nicht einmal, dass es genaue Regeln gibt. Es gibt für sie nur die Regularien, die sie gelernt haben. So testen sie es ein ums andere Mal aus. Und Sie müssen ihm ganz klar und deutlich zeigen, dass auch hier dieselben Regeln wie zu Hause gelten.
Erzieherische Disziplin – für Sie und Ihr Kind
Viele Eltern schrecken jedoch davor zurück, ihre Kinder zu disziplinieren. Sie glauben, dass uneingeschränkte Freiheit das Beste für sie und dass Einschränkungen unangemessen sind. Das jedoch ist ein fundamentaler Irrtum, eine Annahme, wie sie falscher nicht sein könnte.
Wenn Sie zulassen, dass Ihr Kind eine Situation auf Ihre Kosten zu seinem Vorteil nutzt und wenn Sie Rückgrat haben und Aggression verspüren – was Sie sicher tun, vor allem, wenn Sie es sich nicht eingestehen –, dann werden Sie sich an Ihrem Kind rächen. Wenn Ihr Kind Sie beim Einkaufen blamiert, weil Sie ihm die Buntstifte oder die Schokolade nicht kaufen wollen, dann mögen Sie sich noch sagen, dass das in Ordnung geht und dass Sie nicht so wütend sind. Aber innerlich kochen Sie. Wenn das Kind dann zu Hause etwas Schönes gebastelt oder eine gute Tat vollbracht hat und zu Ihnen kommt und belohnt werden will, dann geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass Sie es angemessen belohnen. Sie werden nämlich die Gelegenheit nutzen, sich an Ihrem Kind zu rächen. Wenn Ihnen das nicht bewusst ist, füllen Sie Ihre Elternrolle nicht gut aus.
Wenn Ihr Kind sich so verhält, dass es Ihnen nicht gefällt, sollten Sie herausfinden, wie Sie dieses Verhalten stoppen und dem Kind richtiges Benehmen beibringen können. (Sprechen Sie aber mit Ihrer Frau bzw. Ihrem Mann, um sicherzugehen, dass Sie dabei nicht zum Monster werden.) Diese erzieherische Disziplin ermöglicht es Ihnen, Ihr Kind zu mögen, solange Sie es lieben.
Und mehr noch: Eltern reden oft davon, Selbstachtung und Kreativität und all das in ihren Kindern zu fördern. Aber das wird oft missverstanden und ist aus verschiedenen Gründen zu flach. Erstens: Kreativität lässt sich nicht so einfach fördern, denn es gibt sie selten. Zweitens: Selbstachtung ist ein nur schlecht definiertes Konzept, mit dem meistens Schaden angerichtet wird. Als Eltern eines zwei- bis vierjährigen Kindes müssen Sie ihm vielmehr helfen zu lernen, mit seinem Verhalten Menschen für sich zu gewinnen, sodass diese bei Begegnungen lächeln und das Kind gerne um sich haben.
Alle Eltern können ihre Kinder verletzen
Ich habe Kinder erlebt, die sich nicht benehmen konnten. Überall, wo sie hinkamen, stand ein falsches Lächeln auf dem Gesicht der Leute. Und überall waren die Leute erleichtert, wenn sie wieder gingen. So sieht die Welt aus der Sicht dieser Kinder aus: Jeder lügt sie an, jeder hasst sie. Das ist ihre traurige Welt.
Ihr Kind sollte dagegen imstande sein, minimalen sozialen Anforderungen gerecht zu werden: z.B. eine Stunde lang zivilisiert am Tisch zu sitzen, Danke beim Essen zu sagen, teilen zu können, Erwachsenen zuzuhören (und nicht den schrecklichen Zynismus und die Arroganz besitzen, wie sie sich sogar in Vierjährigen entwickeln können, die immer ihren Willen bekommen).
Denn dann werden diese Kinder mit ihrem Verhalten die Sonnenseite der Erwachsenen zum Vorschein bringen: Überall lächeln die Leute sie an und streicheln ihnen übers Haar, erzählen ihnen vielleicht sogar nützliche und spannende Dinge, sodass sich ihnen die ganze Welt öffnet. Das ist die Folge davon, dass Sie den Mut haben, sich einzugestehen, dass Ihr Kind Dinge tun kann, die Sie nicht mögen – und dass Sie das an ihm auslassen werden, wenn Sie es nicht zu verhindern wissen. Diese Vorstellung mögen die Leute jedoch nicht, weil sie meinen, dass sie ihr Kind lieben und nichts und niemand sie jemals dazu bringen wird, es zu verletzen. Falls Sie so denken, besteht kaum Hoffnung für Sie.
Als Eltern müssen Sie sich vielmehr klar machen: Ich bin wesentlich größer, fieser, durchtriebener und unberechenbarer als dieses Kind. Und daher gebe ich in meiner Beziehung zu diesem Kind besonders acht, damit das Schlechteste in mir nicht hervorkommt. Diese Klugheit erlaubt es Ihnen, einen minimalen disziplinierenden Rahmen aufzustellen, den Sie angemessen und vorsichtig durchsetzen. Und dann können Sie eine unglaublich gute Beziehung zu Ihrem Kind aufbauen.
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